7. Februar 1966. Mit einem Offizier der äthiopischen Armee führten wir ein langes, abendfüllendes Gespräch. Kaiser Haile Selassie hatte sich 1961 die autonome Provinz Eritrea „einverleibt“. 1966 war eine Zeit der Spannungen. Wohl auch deshalb die vielen mobilen Militärlager. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Eritreer mündeten in einem fast 30 Jahre andauernden Unabhängigkeitskrieg. Seit 1993 ist Eritrea ein eigenständiger Staat. (Info aus Wikipedia)
Ethiopien ist größtenteils ein zerklüftetes Bergland. Wir erlebten Ethiopien so: Das Leben, d.h. die Ansiedlungen, Dörfer und Städte lagen auf den Hochebenen in über 2000 Metern Höhe, die Täler waren heiß, öd und leer. Also umgekehrt wie in den Alpen. Die Bergwelt war sehr beeindruckend für uns.
Die Straße in Richtung Tana See (Quelle des Blauen Nil) führte in zahllosen Serpentinen in die Täler bergab und dann wieder bergauf. Der Offizier des Militärlagers hatte uns vor den „Shiftas“ gewarnt. Das wären harmlos aussehende Männer in landestypischer Kleidung mit Gewehren. Die Shiftas „bedienten“ sich gerne am fremden Eigentum. Also auf gut deutsch: bewaffnete Banditen. Vorsicht war geboten! Vorsorge treffen. Wie hatte mein sudanesischer Bekannter von der Baumwollbörse mich eindringlich gewarnt: Zeige, dass Du kein Opfer bist.
Es kam also wie es kommen musste. Die Straße führte sehr serpentinenreich von einer Hochebene hinab ins Tal und auf der anderen Bergseite wieder hinauf zur nächsten Hochebene. An einer für die Shiftas günstigen Stelle, ohne Ausweichmöglichkeit für uns, sahen wir durch unsere Ferngläser, einige Serpentinen talwärts, eine bewaffnete Gruppe. Für uns galt: die 12/70 Sauer & Sohn Schrotflinte laden, das Magazin in das Sturmgewehr einlegen, die 9mm Pistolen prüfen und durchladen. Helmut hatte aus einer Laune heraus, eigentlich für Sylvester in Kairo, etwas Feuerwerk mitgenommen. Er wollte uns nun in den Bergen das mehrfache Echo explodierender Kanonenschläge vorführen. Jetzt war die Gelegenheit dazu. In der Schlucht hörten sich die Detonationen an wie Handgranaten. Das schien auch die Shiftas zu beindrucken. Nicht zu schnell und nicht zu langsam fuhren wir weiter und stoppten unsere Busse ca. 30 Meter vor der Gruppe. Diese Gruppe erschien uns kleiner als wir diese zuvor ausgemacht hatten.
Heinz und Henner gingen gespielt fröhlich und unbewaffnet auf die Gruppe zu. Es waren einige Frauen und die bewaffneten Männer. Helmut und ich, beide gut sichtbar mit je einer unserer Langwaffen schussbereit und den Pistolen sichtbar am Gürtel, sicherten wir die beiden ab. Es erfolgte eine Art Begrüßung.
Die Situation entspannte sich schnell. Diese Leute waren wohl keine Shiftas, sondern nur ganz normale Leute, die zum Eigenschutz ihre Waffen dabei hatten.
Deren mitgeführte Gewehre ähnelten nostalgischen Schrotflinten. Mit einem Unterhebel, nahe dem Abzug, konnte am hinteren Laufende die Patronenkammer geöffnet werden. Eine Patrone wurde eingelegt. Hebel zurück in die Ruhestellung. Hahn mit dem Daumen spannen, dann konnte ein Schuss abgegeben werden. Unsere doppelläufige Sauer & Sohn Schrotflinte erntete Bewunderung, das FN Sturmgewehr, (Bundeswehr Bezeichnung G1), erzeugte Respekt, besonders das unübliche 30 Schuss Magazin. Die verbliebene Gruppe hatte keine Einwände von uns fotografiert zu werden.
Diese Begegnung war zum Glück gutgegangen.
Der 11.Februar 1966 war für uns ein SCHWARZER FREITAG. Es begann damit, daß einer unserer Busse schlecht ansprang und Zündaussetzer hatte. Also das Standardprogramm abarbeiten: Zündkontakte prüfen und abfeilen, Zündzeitpunkt prüfen und neu einstellen, Motor läuft. Nach kurzer Fahrt reisst das Kupplungsseil. Die Reparatur dauert fast 2 Stunden. Nach weiteren 2 Stunden Fahrt meldet sich die Ölkontrollleuchte. Halten, Öl nachfüllen, hatte wir doch erst heute früh VOR der Abfahrt kontrolliert. Nach einer weiteren Stunde Fahrt wurde der Motor plötzlich laut. Es klang metallisch. Kein gutes Zeichen. Unser zweiter Bus schleppte den defekten Bus zur Stadt Bahar Dar. An einer Tankstelle können wir auf eine Freilichtgrube. Diagnose von Heinz und Helmut: der Motor muss raus, ein Pleuellager ist ausgelaufen. Am nächsten Morgen ein Telefonat mit einer VW VERTRAGS Werkstatt in Gondar. Teile am Lager, ein Motorenspezialist ebenfalls. Der Motor wurde in den zweiten Bus geladen. Heinz und Helmut fahren zurück ins 180 km entfernte Gondar. Mir kommen Zweifel an der Tauglichkeit der VW Technik für eine solche Tour. WARUM gibt ein ORIGINAL VW –TAUSCHMOTOR nach ca. 15.000 KM seinen Geist auf? Wird VW sich zu seiner Garantiezusage bekennen? Die Motoren sind erst ca. 4 Monate alt!
Henner und ich sichteten während unserer Zwangspause das Material. Die abgefahrene M&S Reifen, die wir mit vermindertem Luftdruck für die Wüstenquerung benutzt hatten, hatten ihre Schuldigkeit getan. Weg damit. Wir hatten ja noch gute Reifen dabei. Wagen aufräumen und putzen.
Nachts wurden die zwei Schweizer mit ihrem VW Bus eingeschleppt. Es waren Beda und Rudi. Wir hatten uns schon ein paarmal getroffen. Der gleiche Motorschaden wie bei uns. Pleuellager defekt. Noch in der Nacht baute Beda, den Motor aus. Der LKW, der ihn hierher geschleppt hatte, wartete und wollte aber schnell weiter nach Gondar und Beda und den Motor mitnehmen.
Am Sonntag, 13.2.1966 gegen Mittag kamen Heinz und Helmut unverrichtete Dinge mit dem defekten Motor zurück. Die lizensierte VW- Werkstatt wollte 300 äthiopische Dollar für die Reparatur. Zum damaligen Umrechnungskurs etwa DM 480. Für den Preis hatten wir in Deutschland die Austauschmotoren gekauft! Mit 6 Monaten Garantie! Die Garantieurkunde interessierte den VW- Vertrags- Werkstattinhaber nicht. Da zu vermuten war, dass Beda mit dem Motor auch unverrichteter Dinge zurückkommen würde, einigten wir uns auf folgenden Plan: Heinz und der Schweizer Beda fahren mit unserem zweiten Bus und beiden Motoren nach Addis Abeba zur VW – Vertrags - Werkstatt. Entfernung 550 KM, Fahrzeit 1 ½ Tage. Wenn die beide gleich losfahren, könnte sie Montagabend in Addis sein. Reparatur der Motoren max. 2 Tage. Also könnte Beda mit den Motoren am Wochenende wieder hier sein. Henner würde am Mittwoch mit dem Linienbus nach Addis zu Heinz fahren. Dann ist nie jemand allein. Henner ist für Arbeiten am Fahrzeug auch nicht unbedingt prädestiniert. Seine Fähigkeiten lagen u.a. in seinem Organisationstalent und darin, uns immer mit Essen und Getränken zu versorgen und sich um die Wohnlichkeit in den Fahrzeugen zu kümmern.
Wir nutzten die „Freizeit“ um die Gegend zu erkunden. Besuchten die Wasserfälle des Blauen Nil und das Ufer des Tana See. Baden sollte man aber in keinem See in Afrika, es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit sich mit BILHARZIA zu infizieren.
Am 17. 2 1966 war rund um die Tankstelle,an der wir unsre Zwangspause einlegen mussten, alles geflaggt. Wir erfuhren: heute wird der Kaiser hier vorbeifahren. Die Bauarbeiter saßen an der Straße. Wir setzten uns dazu. Um 11 Uhr sahen wr die Autokolonne kommen, Es waren ausschließlich Landrover. In einem saß unübersehbar Kaiser Haile Selassi.
Sonntag, 20.2.1966. Immer nachmittags gegen 16:00 Uhr hielt der Linienbus aus Addis kommend an der Tankstelle. Wir erkannten schon aus einiger Entfernung: 2 VW Motoren auf dem Dach! Heinz und Beda hatten es geschafft die Motoren instand zu setzen. Beda begleitete den Rücktransport. Unverzüglich begannen wir mit dem Einbau. Beda war total übermüdet. Wir „verordneten“ ihm zu schlafen. Den Einbau der Motoren übernahmen wir. Helmut ist der Profi, er hat schon zig-fach VW Motoren bei Bussen und Käfern aus- und eingebaut. Nach einen guten Stunde rollte der erste Bus aus eigener Kraft von der Freiluftgrube der Tankstelle. Beim Schweizer Bus ging es genau so flott. Montag sollte es weitergehen. Ziel Addis Abeba.
Am Montag ganz früh aufstehen. Unser Bus wurde angeschleppt. Der Akku war schwach. Einige Tage ohne Ladestrom hatte der Akku nicht verkraftet. Alle paar Stunden Ölstandskontrolle. Bis Addis wurden fast 2 ½ Liter nachgefüllt. Da der Wagen kein Öl verlor, mussten es die Kolbenringe sein. Abends suchten wir einen Übernachtungsplatz. Im Radio hörten wir auf der Deutschen Welle Karnevalslieder als wir eine Tankstelle anliefen. Es war Rosenmontag. Helmut stammte aus Remagen, also ein Karnevalist. Die Leute an der Tankstelle schauten uns ungläubig an: 2 Karnevalslieder grölende Fremde im Auto. Kurz darauf schunkelten die Umstehenden mit. Karnevals- Musik als Völkerverständigung. Das war doch was.
Unser „Campingplatz“ in Addis war durch Vermittlung des Goethe Instituts das gut bewachte Gelände der GENERAL WINGATE SCHOOL. Mitarbeiter vom Kulturinstitut boten uns an, an mehreren Orten in Addis den ca. 40 minütigen DIA – Vortrag über „Berlin, die geteilte Stadt“ und den ca. 15 minütigen Vortrag über „Bremen, die Stadt aus der wir kommen“ zu halten. Honorarangebot: 300 äthiopische Dollar pro Vortrag. Das waren zum damaligen Umrechnungskurs ca. DM 480 (!). Wir beschlossen etwas länger zu bleiben. Wer konnte zu so einem Angebot schon nein sagen? Außerdem mussten unsere Finanzen dringend etwas „aufgefrischt“ werden.
Die gerahmten Dias über Berlin (West und Ost) stammten von der Landesbildstelle Berlin, die Bremer Dias hatte ich selbst aufgenommen. Als Projektor führten wir einen ohne Magazin mit. So ein Gerät war auf der Reise weniger störanfällig. Unser Vortrag sollte so ablaufen: Heinz saß bei den einladenden Verantwortlichen um ggf. Fragen zu beantworten. Helmut hatte den von uns erarbeiteten Text pro Bild schriftlich vor sich liegen und saß als Souffleur neben mir. Ich bediente den Dia Projektor..
Henners Aufgabe war es, zu jedem Bild, in seinem damals allerfeinsten Schul- Englisch, den Vortrag zu den Bildern zu halten. Was dann folgte war die reinste Katastrohe. Henner hielt sich weder an das Konzept noch an die grundlegenden technischen Abläufe eines Diavortrages. Es stand mit dem Rücken zum Publikum und stammelte den Text zu den Dias in Richtung Leinwand. So ging das nicht. Lernt man als Student auf Lehramt nicht, vor Zuhöhrern zu spechen?
Ich übernahm nach dem Bremen - Vortrag auch den Berlin -Vortrag. Bei den folgenden Veranstaltungen dieser Art habe nur noch ich die Vorträge gehalten. Gesicht zum Publikum. So wie es bei einem zum Freund gewordenen Afrikareisenden, Detlev von B., gesehen und mir "abgeguckt" hatte. Das klappte gut, auch wenn mein English sehr "auswendig" gelernt war. Den Zuschauerinnen uind Zuschauern hat mein Votrag offensichlich gefallen:
Dass uns diese Vorträge an den Schulen und in den Vortrags- Räumen des Goethe Instituts vermutlich die Tür zum Palast von Kaiser Haile Selassie öffneten, hatten wir nicht zu träumen gewagt. Aber es funktionierte. Schließlich waren in die Lichtbildervorträge die Bilder mit den handschriftlichen Empfehlungen vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, vom Bundeskanzler Ludwig Erhardt und im Bremen Vortrag, vom Bürgermeister Wilhelm Kaisen von uns „eingebaut“. Die Lichtbildervorträge hielten wir an den Schulen, an denen vermutlich die Kinder der „Oberschicht“ unterrichtet wurden. Ob auf dem Weg über die Eltern oder über das Goethe Institut oder über den Kulturverein der Kontakt zu den Verantwortlichen des Protokolls des Palastes zu Stande kam, haben wir nie herausgefunden.
Die Audienz bei Kaiser Haile Selassie, das Treffen mit dem Olympiasieger Abebe Bikila und Vorkommnisse, Ereignisse und Erlebnisse in Addis sind in einer eigenen Episode niedergeschrieben.
Die Zeitung THE ETHOPIEN HERALD berichtige sowohl in der Ausgabe in Amharisch als auch in der englisch sprachlichen Ausgabe.
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